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Der lange Atem der Liebe

Ein Beitrag von P. Elmar Busse:

Als sich am 17. Juli 2021 die ca. 2000 Läuferinnen und Läufer im Startbereich des 21. Reschenseelaufes in Südtirol einfinden, stechen zwei Teilnehmer heraus. Sie tragen zwar Laufschuhe, aber die Frau ist im weißen Brautkleid erschienen und er Mann im schwarzen Anzug. Doch es hat alles seine Richtigkeit. Claudia Weber und Thomas Wenning tragen wie alle ihre Registriernummer. 500m nach dem Start scheren die beiden aus der vorgesehenen Laufstrecke aus und verschwinden im Standesamt der Gemeinde Graun und werden vom Bürgermeister Franz Prieth offiziell nach italienischem Gesetz standesamtlich getraut. Nach ein paar Minuten kommen sie als frisch verheiratetes Paar aus dem Standesamt und laufen die restlichen Kilometer der insgesamt 15 km lange Strecke. Am Zieleinlauf warten schon die Freude des Hochzeitspaares mit Herzluftballons und Sekt. Auch den langen Hochzeitskuss gibt es erst nach dem Ziel. Seit Jahren traten beide gemeinsam bei den verschiedensten Läufen an den Start. 300 geschaffte Marathons erscheinen in ihrer Statistik. Aus dem Hobby wurde Leidenschaft, auch 68.000,-€ konnten sie bei Solidaritätsläufen als Spenden „erlaufen“.

Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/laufen-paar-aktion-mann-frau-2353880/


Ehe ist tatsächlich eher mit einem Marathon als mit einem 100m-Sprint zu vergleichen. Gleichzeitig müssen wir aber auch berücksichtigen, dass Leidenschaft und Dauer schwierige Bettgenossen sind. Das Musical Cats wurde nach mehreren Jahren ausverkaufter Vorstellungen in Wien vom Spielplan genommen, weil viele der Schauspieler sich nicht mehr in der Lage sahen, der tausendsten Wiederholung Premierenstimmung zu verleihen. Ist es mit der Ehe so ähnlich? Seit ca. 150 Jahren wird die Liebesheirat als die ideale und normative Form der Eheschließung im westlichen Kulturkreis betrachtet. Über arrangierte Eheschließungen oder Hochzeiten, die aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden sollten, rümpft man die Nase. Damit bekommen Gefühle einen viel größeren Stellenwert als Vernunft und Wille. Und unter der Hand wird die Personmitte, dort, wo wir ICH sagen können, vom Willen und prüfendem Gewissen verlagert ins Gefühl. Echtheit und Authentizität wird festgemacht an der Übereinstimmung vom Reden mit dem Gefühl. Wie schnell ist man bei einer solchen Sicht seiner selbst aber auch der Sklaverei der jeweiligen eigenen Stimmungen und Launen ausgesetzt! In vielen Anläufen des philosophischen und psychologischen Beobachtens und Nachdenkens hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein christliches Menschenbild herausgebildet, das den Personenkern im Gewissen und damit im Verstand und Willen ansiedelt. Natürlich strafen all die weltweiten Konflikte, in denen Fanatiker auf Fanatiker treffen und sich gegenseitig bekämpfen, ein solches Menschenbild Lügen. Und doch gilt: Ein friedliches Miteinander ist nur dort möglich, wo Menschen der Vernunft in ihren Entscheidungen einen wirkmächtigen Raum zugestehen. Was im Makrobereich gilt, gilt auch im Mikrobereich der Ehe. Ein dauerhaftes konstruktives Miteinander ist nur dort möglich, wo zwei Partner sich immer wieder auf ihre einmal getroffene Entscheidung, die sie öffentlich und vor Gott zum Ausdruck gebracht haben, besinnen, dazu stehen und bereit sind, den Preis zu zahlen, denen es ihnen im Moment abverlangt. „Treue“ ist das Reizwort für diese menschliche Qualität. „Verlässlichkeit“ klingt harmloser, ist aber nichts anderes als Treue im Kleinen. Das Vertragsdenken der Aufklärung und das Liebeskonzept der Romantik wabern konkurrierend durch die Kommentare der Zeitungen und die Diskussionen der Stammtische. Und mancher Sozialpolitiker stöhnt in utopischen Träumereien: Wieviel Sozialleistungen für alleinerziehende Elternteile könnte sich ein Staat ersparen, wenn Kinder bei zwei Elternteilen aufwachsen.
Der Arzt und Schriftsteller Werner Bartens hat ein Buch geschrieben: „Lob der langen Liebe. Wie sie gelingt und warum sie unersetzbar ist“ Auch er erfindet das Rad nicht neu, sondern zitiert die Konsequenzen, die der amerikanische Paartherapeut John Gottman aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen in der Paarberatung gesammelt hat:
Da geht es darum, die ‚Partner-Landkarte‘ wieder auf den neuesten Stand zu bringen, d.h. sich auszutauschen, wie man die Beziehung sieht und einschätzt. Die treuen Ehenewsletter-Leser werden sich erinnern, dass wir immer wieder dazu ermutigt haben, ein wöchentliches Paargespräch zu führen. Wer das einigermaßen regelmäßig pflegt, wird bei dieser Ehe-Inventur keine bösen Überraschungen erleben. – Zuneigung und Bewunderung zu zeigen ist der zweite Baustein einer dauerhaften Beziehung. „Goldgräber statt Mistkäfer“ ist das geflügelte Wort für diese Haltung. – Dann sollte man darauf achten, jene Probleme zu identifizieren und zu lösen, die sich auch lösen lassen.1 – Einander vergeben und um Verzeihung bitten in Kombination mit der Ehrlichkeit, die eigenen Fehler einzugestehen, darin besteht das A und O in jeder dauerhaften Freundschaft. Am Ende warnt Werner Bartens vor Trennung und schreibt: „Zudem sind Menschen Wiederholungstäter und neigen dazu, erneut auf denselben Typ Mann oder Frau hereinzufallen und ganz ähnliche Fehler wieder und wieder zu begehen. Allerdings entkommt man sich niemals selbst, und deshalb ist es besser, sich einen gemeinsamen Neuanfang mit dem in Streit und Sex bewährten Partner zu gönnen, anstatt jemand anderen damit zu behelligen. Nach wenigen Monaten Euphorie wäre man mit dem neuen Gefährten nur wieder vor denselben Hindernissen stehen. Wenn es klappt, zufrieden zusammenzubleiben, dann stellt sich plötzlich eine wunderbare Erkenntnis ein – dass nach so vielen gemeinsamen Jahren noch so viel Ehe übrig ist. Und das ist eine schöne Aussicht.“ [S.290] Mit der Ehe ist es tatsächlich wie beim Marathon. Je länger man trainiert, desto besser wird die Kondition. Kostet es beim ersten Mal noch viel Mut, das kleine Sätzchen „Es tut mir Leid“ dem Partner zu sagen und ihm dabei in die Augen zu schauen und fällt es schwer, anfangs aus der Selbstmitleidsfalle und Opfermentalität auszusteigen und dem anderen zu verzeihen, so wird einem das nach dem 100. Mal viel leichter fallen. Es wird zum guten Stil, zur eigenen Ehekultur. Für Ihren Ehe-Marathon wünsche und erbitte ich Ihnen den langen Atem.

P. Elmar Busse [ISch]

1 A.a.O. S.194f.

Als Paar und mit Gott weiter kommen – hilfreiche Tipps für die Zeit zu zweit oder auch mal einfach so:

1. Heute umarmen wir uns immer wieder kurz (beim aneinander vorbeirennen) und schauen uns 5 Sekunde lang intensiv und liebevoll in die Augen. Wirkt als echte Stressbremse.

2. Heute sage ich bewusst ein charmantes „Nein“ und lasse mir nichts aufladen, das ich eigentlich gar nicht tun möchte.

3. Heute gehe ich mit dem Stoßgebet „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir mangeln!“ durch den Tag.

4. Heute setze ich mich zehn Minuten hin – und wenn es im größten Getümmel ist –, zünde eine Kerze an und verweile. Und nichts – auch nicht das Telefon – wird mich davon abhalten.

5. Heute sprechen wir in der Zeit zu zweit über unsere kleinen Auszeiten im Alltag.